Freitag, 20. Februar 2015

Lichtblick - "Hogar de la Luz"




Das "Hogar de la Luz" war ursprünglich ein Heim für Mädchen aus schwierigen Verhältnissen. Als die letzte Freiwillige dort war hat die Einsatzstelle dasselbe traurige Schicksal ereilt, wie gerade einige der Talleres-Lehrwerkstätten – sie musste vorübergehend schließen. Seitdem hat sich hier vieles verändert. Die Betten der Mädchen sind 100 Nähmaschinen gewichen und bieten nun Raum für weitere berufliche Weiterbildungsmöglichkeiten. Die Fundación hat einen Vertrag mit der Sena abgeschlossen. Die Sena ist eine staatliche Einrichtung und bietet kostenlose Ausbildungen an. Ausgebildet werden soll in den Fachbereichen Nähen, Backen und Kochen und weitere. All diese Projekte sind momentan in Arbeit, sprich noch nicht umgesetzt.

Ich dachte also eigentlich ich würde hier nicht wirklich viel zu tun haben. Deswegen hatte ich insgeheim den Gedanken in die Einsatzstelle meiner Mitfreiwilligen Isabelle zu wechseln. Die hatte bei "Samaritanos de la Calle" gearbeitet und musste vor einigen Wochen nach Hause fliegen, weil sie Dengue bekommen hatte. Um bei den "Samaritanos" zu arbeiten braucht man schon ein dickes Fell. Hier arbeitet man mit den Obdachlosen im Centro zusammen und ohne ihr T-Shirt mit dem strahlenden Jesus und dem Namen der Fundación hätte Isabelle diese Straßen wohl nicht so ohne weiteres unversehrt betreten können. Jetzt fragen sich einige wohl, warum ich genau hier arbeiten wollte. Ich sah in "Samaritanos" die Möglichkeit nochmal ein ganz anderes Kolumbien kennenzulernen und auch mich selbst. Es ist etwas anderes den Menschen in schönen Gebäuden zu begegnen, oder eben da wo sie herkommen.

Ich ging also zu meinem ersten Arbeitstag im "Hogar de la Luz" mit dem festen Entschluss, ich wolle zu "Samaritanos". Der erste Tag schien auch erst mal meine Erwartung zu bestätigen: Man hatte vergessen, dass ich komme. Da war nur eine Nonne und ein Hund, und ich bekam einen dicken Schinken zum Lesen als Beschäftigungstherapie vorgelegt, in dem ich mich über "Hogar de la Luz" informieren sollte. Beim Anblick meines Mittagsessen - ein Sandwich - faltete die Nonne flehend die Hände zusammen und sah gen Himmel. "Por Dios, eso no es un almuerzo!" (Lieber Gott, das ist doch kein Mittagessen!) Und dann stellte sie mir ein Glas Milch hin, nicht ohne mir zu versichern, dass es eine gute Milch sei und das Verfallsdatum noch nicht erreicht. Dann aber die überraschende Wende. Die Nonne gab mir meinen ersten Auftrag: Mitgliedskarten drucken und zerteilen. Das mag lächerlich klingen, die Aufgabe an sich war auch banal und nicht gerade toll, aber zum ersten Mal seit ich in Kolumbien war hatte mir jemand gesagt wo er meine Hilfe gebrauchen kann - und das ganz von selbst.

Am zweiten Tag warteten weitere Überraschungen auf mich. Man sagte mir, wir würden jetzt erst mal Garn kaufen, damit ich ein Kissen als Anschauungsstück besticken könne. In der Mittagspause hatte ich dann Linsen bei. Und wieder wurden die Linsen mit beunruhigten Blicken begutachtet und mir erklärt wie wichtig ein gutes Frühstück und Mittagessen sei. Man werde sonst krank. Mit dem Salat, der Suppe, der Haupt- und Nachspeise, die Alexandra jeden Tag mit in die Arbeit bringt, will ich aus Bequemlichkeitsgründen nach wie vor nicht mithalten. Nach dem Essen sollte ich gleich mal meinen ersten Englischunterricht geben. Ehrlich gesagt hatte ich geglaubt, dass es eine Hinhaltetaktik war, als davon gesprochen wurde "Los niños ya están" und man so unsere Sorgen, ich könnte zu wenig zu tun haben, aus dem Weg räumen wollte. Ich ging also mit der Erwartung heran, dass vielleicht 3 Schüler zu meinem ersten Unterricht kommen würden, tatsächlich waren wir dann aber eine beträchtliche Gruppe. Meine jüngsten Schüler sind erst drei Jahre alt, und dann war da ein Herr, von dem ich erst dachte er würde meinen Unterricht beobachten. Irgendwann, als ich die Tiernamen an die Tafel schrieb, merkte ich dann, wie er mit zusammengekniffenen Augen da saß und in sein Heftchen kritzelige Notizen machte. Da begriff ich. Motiviert und angestrengt formten seine Lippen die Wörter nach und ich begann größer zu schreiben und lauter zu sprechen, weil ich merkte, dass er damit Probleme hatte. Am Ende der Stunde zeigte der 83-Jährige mir dann stolz sein Heft, in das er bunte Blumen gemalt hatte. Viele Wörter hatte er nicht lesen können und falsch abgeschrieben.

In den nächsten Tag starteten wir dann mit einer Reunión, die mich darin bekräftigte, dass ich im "Hogar de la Luz" richtig war. Alexandra und die Nonne "Stella", auch "Stellita" genannt, übten konstruktiv Kritik, gaben mir viele Tipps wie ich den Unterricht besser gestalten sollte und stellten auch klare Regeln auf. Zu Unterrichtsbeginn sollte alles perfekt vorbereitet sein, die Blätter und Stifte schon auf den Plätzen liegen, wenn die Kleinen und Großen kamen. Kinder dürfen bitte nur nacheinander aufs Klo und die Schüler sollten mir später beim Aufräumen helfen. Zudem sollte ich ein Heft führen und darin eintragen, was ich täglich mache und einen Ordner für jeden Schüler anlegen. So viel Ordnung und Disziplin hatte ich hier nicht erwartet. Ich hatte mir immer gewünscht, jemand würde mir einfach sagen, wo er gerade meine Hilfe gebrauchen kann. Nur so findet doch ein effektiver Einsatz von Freiwilligen statt, indem die Vorgesetzten ihnen auch klar Aufgaben zuweisen oder anbieten. Und wenn das Mitgliedskarten schneiden ist - solange sich der Vorgesetzte dann um wichtiger kümmern kann, ist das doch schon ein Gewinn und eine Hilfestellung. Und dafür bin ich schließlich da. Ich hatte schon fast den Fehler gemacht es als typisch kolumbianisch zu betrachten, dass der Freiwillige hier auch frei darin ist, sich selber um einigermaßen sinnvolle Aufgaben zu bemühen. Ich merke, dass es mir und meiner Arbeit gut tut, wenn die Zügel etwas strammer gehalten werden und dass ich so auch viel mehr für mich selber lernen kann. Nach dem dritten Tag war ich in dem Konflikt, beides zu wollen: Bei den "Samaritanos" neue Erfahrungen zu sammeln, aber eben auch im "Hogar de la Luz".

Jetzt kann ich tatsächlich beides. Freitags bin ich bei Samaritanos, die restliche Woche halte ich Englischunterricht. Mittlerweile ist eine Erwachsenengruppe zusammengekommen, und 3 Gruppen mit Kindern und Jugendlichen.























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