Mittwoch, 22. April 2015

Zwischenbericht






Weltwärts – zweiter Zwischenbericht
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Von: Theresa Scheible

Entsendeorganisation: Schule fürs Leben e.V. in Frankfurt

Einsatzort: Cali, Kolumbien

Einsatzstelle: Hogar de la Luz

Datum: 20. März 2014
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Die ersten 6 Monate meines Freiwilligendienstes sind bereits ins Land gezogen. Tatsächlich ist dieses Freiwilligenjahr das bisher intensivste Jahr meines Lebens und ich glaube der Schatz an Erfahrungen und Erkenntnissen, den ich innerhalb dieser kurzen Zeit gewonnen habe, ist unbezahlbar. Ich kann mich wirklich sehr dankbar schätzen, auch wenn nicht alles in diesem Freiwilligenjahr reibungslos funktioniert hat und erst recht nicht alles so war, wie ich mir das in Deutschland vorgestellt hatte. Aber ich glaube genau aus diesen Momenten, wenn der Plan nicht aufgeht, lernt man am meisten.

Das „Taller Textil“
So hatte ich nicht eine Sekunde ernsthaft damit gerechnet, dass ich meine Einsatzstelle werde wechseln müssen und das Taller Textil vorübergehend schließt. Vom jetzigen Standpunkt aus betrachtet sind die Erinnerungen an meinen Abschnitt im Taller Textil schmerzhaft und werden überschattet von all den Rückschlägen und Schwierigkeiten, die meine Arbeit dort begleitet haben. Es braucht wohl noch etwas Zeit und Abstand bis ich all die schönen Erinnerungen, die ich an meine Zeit im Taller habe, wieder als solche wahrnehmen kann und nicht mit den Bildern vom Ende des Tallers überlagere. Stand der Dinge ist momentan, dass das Taller erst wieder eröffnet werden soll, wenn dafür ausreichend Geld vorhanden ist. So wird gewährleistet, dass das Taller nicht nur vorübergehend existieren kann, sondern auch wirklich Handlungsspielraum vorhanden ist. Als ich im Taller war, konnten ja nicht mal Materialien gekauft werden.
Auch wenn die vorübergehende Schließung des Tallers traurig ist, weil es wohl noch ein bisschen dauern wird, bis das Taller wieder eröffnet werden kann, so ist es doch meines Erachtens der einzig richtige Ansatz. Es wäre für die Schüler nicht mehr zumutbar, wenn sich das Taller mehr schlecht als recht von Monat zu Monat schleppt.

Meine neue Einsatzstelle „Hogar de la Luz“
Für mich haben sich mit dem Wechsel der Einsatzstelle viele neue und spannende Möglichkeiten ergeben. Das „Hogar de la Luz“ war ursprünglich ein Heim für Mädchen aus schwierigen Verhältnissen. Als die letzte Freiwillige dort war, hat die Einsatzstelle dasselbe traurige Schicksal ereilt, wie einige der Talleres-Lehrwerkstätten – sie musste vorübergehend schließen. Seitdem hat sich hier vieles verändert. Die Betten der Mädchen sind Nähmaschinen gewichen und bieten nun Raum für weitere berufliche Weiterbildungsmöglichkeiten. Die Fundación hat einen Vertrag mit der Sena abgeschlossen. Sena ist eine staatliche Einrichtung und bietet kostenlose Ausbildungen an. Ausgebildet werden soll in den Fachbereichen Nähen, Backen, Kochen und weitere. All diese Projekte sind momentan in Arbeit, sprich noch nicht umgesetzt.
In meiner Einsatzstelle arbeiten also Stella und Alexandra mit aller Kraft daran, dass schon bald der Lehrbetrieb aufgenommen werden kann, während ich Interessierten aus den umliegenden Barrios (Montebello, Campo Alegre) Englischunterricht gebe. Die erste Woche hatte ich alle Schüler zusammen unterrichtet, sprich von 3 bis 84 Jahren, und es war schlichtweg unmöglich allen Bedürfnissen gerecht zu werden. Die ganz Kleinen mit ihren 3 Jahren hatten schon bald keine Lust mehr ihre Arbeitsblätter auszumalen und begannen durch den Raum zu flitzen, die etwas Größeren reckten mir alle ihr Hefte entgegen, damit ich ihren Hefteintrag loben konnte und die Älteren wünschten sich einen etwas anspruchsvolleren Unterricht, obgleich sie die einfachen Vokabeln noch nicht kannten. Zu meiner Erleichterung wurde dann der Unterricht in kleinere Gruppen eingeteilt, sodass ich jetzt insgesamt vier verschiedene Englischkurse leite – eine Erwachsenen-Gruppe und drei Gruppen von Kleinen. Sowohl bei den Erwachsenen als auch bei den Kleinen ist die Altersspanne zwar nach wie vor relativ groß und reicht bei den Erwachsenen von 15 bis 83, bei den Kleinen von 3 bis 13, aber mit der Zeit schafft man es einen Mittelweg zu finden, um allen so gut es geht gerecht zu werden. Im Erwachsenenkurs bedeutet das zum Beispiel, dass ich mit riesengroßen Buchstaben an die Tafel schreibe und sehr laute rede, damit auch die älteren im Kurs eine Chance haben zu verstehen. Im Kurs mit den Kleinen bedeutet das, dass ich immer Blätter zum Ausmalen vorbereite, damit diejenigen, die noch nicht schreiben und lesen können, auch etwas zu tun haben.
Spannend finde ich zu beobachten, wie ich mit jeder Stunde dazulerne und Strategien entwickeln kann um ein angenehmes Lernklima zu schaffen und konzentrierte und motivierte Schüler mir gegenüber sitzend zu haben. Das ein oder andere Mal war ich doch sehr überrascht, welche Schlüsse ich am Ende einer Stunde ziehen konnte. Das Thema „Food“ war so eine Stunde. Mit viel Liebe ins Detail hatte ich von Milch bis zur Gurke alles gemalt, was mir an Vokabeln wichtig erschien. Ich wollte den Unterricht sehr interaktiv gestalten und hatte dazu eine Einkaufsliste vorbereitet, Rezepte sowie eine Menükarte. Der erste Kurs war begeistert bei der Sache, obgleich mir der Unterricht ziemlich entglitt. 15 Hände streckten mir Gemüse, Obst und Fleisch entgegen und bei all dem „Ich bin jetzt aber dran“ ging der Lerngedanke etwas verloren. Der zweite und dritte Kurs meinte dann schon nach zehn Minuten sie würden sich langweilen und ich verbrachte die Stunde damit die Schüler wieder an den Verkaufstisch zu holen, um Aufmerksamkeit zu bitten und sie zurechtzuweisen.




Im nächsten Kurs zog ich klassischen Frontalunterricht durch, ließ die Schüler die Vokabeln zum Thema „Food“ schreiben und dazu Bildchen malen. Ich hatte eigentlich erwartet, dass mir die Schüler auf die Barrikaden gehen würden, aber siehe da - keine Beschwerden, ein angenehmes Arbeitsklima. Am Ende der Stunde meinten dann sogar einige ihnen hätte der Unterricht viel besser gefallen als beim letzten Mal. Erfahrungen wie diese erscheinen mir sehr wertvoll, besonders da ich jetzt in Erwägung ziehe „Kunst-Spanisch“ auf Lehramt zu studieren. Zu merken wie man von Mal zu Mal mehr die Dynamik der Klasse beeinflussen und lenken kann ist da doch sehr hilfreich. Was aber werden die Kolumbianer von meinem Englisch Kursen mitnehmen können? Beziehungsweise was motiviert sie dazu Englisch zu lernen?
Bei den meisten ist es wohl die Freude daran, sich mit den „Extranjeros“ oder „Gringos“ (Ausländern) unterhalten zu können und dies dann auch auf Englisch zu tun. Touristen sind hier nämlich nach wie vor etwas Besonderes und nicht allzu oft Gesehenes. Englisch zu sprechen ist in Kolumbien schon fast so etwas wie ein Statussymbol und zumeist sind es auch nur die Wohlhabenderen, die dieser Sprache tatsächlich mächtig sind. Der große Rest kennt wenn überhaupt vereinzelte Wörter wie „beautiful“, die einem dann gerne auf der Straße hinterhergerufen werden. Englisch dient zudem als eine Art Geheimsprache mit der sich Kolumbianer gut über andere gerade anwesende Personen oder Themen, die man lieber nicht im öffentlichen Raum bespricht, unterhalten können. Aber Sprachen haben ein viel größeres Potenzial. Denn Sprache wird zum Schlüssel um neues und unbekanntes zu lernen und lädt dazu ein, einen Blick über den Tellerrand zu wagen.
Ich persönlich empfinde Lateinamerika als einen sehr abgekapselten Raum. Diese Abkapslung hat ihre positiven Seiten, sorgt sie doch für eine so lebendige und pulsierende Kultur mit regionalen Spezialitäten, Tänzen und Musik. Gerade da, wo der Zugang zu Bildung fehlt, fokussiert sich aber auch das Interesse fast ausschließlich auf die eigenen vier Wände und die Arbeit, alles was außerhalb des eigenen Erlebnisradius liegt ist zumeist nicht so wichtig. Was spricht man eigentlich für eine Sprache in Ecuador und was ist die Hauptstadt Kolumbiens? Immer wieder überraschen solche Fragen, aber denkt man dann weiter darüber nach, verwundert sie nicht weiter. Wo soll das Wissen auch herkommen, wenn das Bildungssystem nach wie vor noch so lückenhaft ist? Genau hier ist Sprache ein wundervolles Instrument um Barrieren einzureisen und den Horizont zu erweitern. Für mich ist der Englischunterricht also mehr wie schlicht die Sprache Englisch. Ich sehe Englisch viel mehr als einen Weg, die Menschen dafür zu begeistern, mehr von der Welt wissen zu wollen.
Nun gebe ich aber nicht Montag bis Donnerstag durchgehend nur Englischunterricht. Zwischen den Stunden bleibt immer ein wenig Zeit, um die nächsten Stunden vorzubereiten, sich um die Dekoration der Fundación zu kümmern oder andere Aufträge zu bearbeiten. Das kann das Malen eines Fluchtplanes sein, es kommt aber auch vor, dass ich Papageien bastle oder Bilder male. Ich habe zum Beispiel begonnen auf alte Holzbretter Portraits zum Thema „Kultur Kolumbiens“ zu malen. Auf dem Foto sieht man eine alte Indianerfrau vom Stamm der Guambianos, die im Nachbardepartamento Cauca wohnen. Ich genieße diese Freiräume sehr, in denen ich meine Kreativität ausleben kann.




Diese Woche habe ich zudem „Samaritanos de la Calle“ kennengelernt. Hier werde ich jeden Freitag arbeiten. „Samaritanos“ ist eine Fundaciòn im Zentrum Calis und arbeitet mit den Obdachlosen zusammen. Das Programm leistet eine Art Grundversorgung, die Obdachlosen können sich hier baden, erhalten einen Schlafplatz sowie Essen, können aber auch den Arzt, Zahnarzt oder Friseur aufsuchen. Um den Wiedereinstieg in die Arbeitswelt vorzubereiten werden spezielle Programme angeboten und es gibt eine Kinderbetreuung, die sich den Kleinen annimmt. In einem anderen Gebäude werden vertriebene Familien für 3 Monate aufgefangen. In welchem Bereich ich bei den Samaritanos arbeiten will, weiß ich noch nicht, das wird sich in der nächsten Woche klären, aber ich erhoffe mir von dieser Arbeit nochmal ganz neue Impulse.
Freizeit technisch bin ich in den letzten Monaten wesentlich ruhiger geworden und es fällt mir gerade ziemlich schwer mich aufzuraffen. Am Anfang war ich ja ständig unterwegs, habe viel mit kolumbianischen Freunden unternommen. Das hat deutlich nachgelassen. Nachdem im Freiwilligenhaus mittlerweile nur noch 8 Mädchen wohnen, ist die Wohnsituation richtig angenehm und wir verstehen uns sehr gut innerhalb der Gruppe. Da werden dann DVD Abende gemacht, gemeinsam gebastelt oder ein WG-Frühstück veranstaltet. Für das kommende halbe Jahr wünsche ich mir, dass ich mich wieder etwas mehr in die kolumbianisch Gesellschaft einbinde und weiterhin so zufrieden bin mit meiner Einsatzstelle. Und euch wünsche ich ebenfalls ein wunderschönes kommendes halbes Jahr! Ich habe eben mein Flugticket geschickt bekommen, am 9. September um 15. 05 habe ich dann wieder deutschen Boden unter den Füssen!:)
Lasst euch ganz feste drücken,

eure Theresa

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