Freitag, 2. Oktober 2015

Über den Frieden




Vor einigen Tagen hat die kolumbianische Regierung auf Kuba zwar offiziell Frieden mit der FARC, einer Guerillagruppe, geschlossen, aber es ist eine vorsichtige Freude die sich deswegen in Kolumbien breit gemacht hat. Noch wollen die Menschen nicht so recht glauben, dass Frieden überhaupt möglich ist. Dieser Krieg geht nun schon so lange, dass er ein Stück weit Alltag geworden ist. Ein Kolumbien ohne Krieg kennen viele nicht mehr. Und doch habe ich in meiner ganzen Aufenthaltszeit nur selten wirklich begriffen, dass dieses Land im Kriegszustand ist. Denn es ist ein subtiler und komplexer Konflikt, da gibt es keinen Bombenalarm im klassischen Sinne der einem sagt "Das ist Krieg". 

Dieser Konflikt ist so schwierig zu durchdringen und auch auszulöschen, weil es "DEN" Feind als solches in Form einer Gruppe oder Person wohl gar nicht gibt. Johan Galtung, nominiert in der Kategorie alternativer Friedensnobelpreis, glaubt, dass die Kolumbianer den Konflikt nur dann wirklich lösen können, wenn sie sprichwörtlich das Problem an der Wurzel anpacken. Und diese Wurzel, aus der der Konflikt entstanden ist, ist seiner Einschätzung nach die Armut. Wenn man also nur die Triebe abschlägt, werden bald schon neue nachsprießen. Deswegen ist der neu gewonnene Frieden mit der FARC ein wichtiges Zeichen, das Mut zur Hoffnung gibt, aber bis dieses Land tatsächlich in Frieden leben kann, wird noch einiges mehr passieren müssen - und zwar in der Kernproblematik. Ich halte es für sehr wichtig für das Verständnis dieses bewaffneten Konfliktes, dass wir zu verstehen beginnen, dass das, was wir zu Gesicht bekommen nur der über der Erde liegende Teil der Pflanze ist.

Ich merke wie ich Gefallen finde an dem Bild der Pflanze. So lässt sich nämlich auch wunderschön die Rolle der Drogen in diesem Konflikt erklären. Der Begriff "Drogenkrieg" vermittelt oftmals den Eindruck, dass die Drogen der zentrale Inhalt dieses Konflikts seien. Doch die Drogen waren, wenn wir beim Bild mit der Pflanze bleiben, nur der Dünger, der den zarten Trieben zu Wachstum verholfen hat. Denn um Krieg überhaupt führen zu können, braucht man vor allem eins - Geld. Und so hat beispielsweiße die Guerilla sich das Geschäft mit den Drogen zu Nutze gemacht, um die Durchsetzung ihrer Interessen überhaupt erst finanzieren zu können. Bei all den Blutbädern die sich Guerillagruppen, Paramilitärs und der Staat geleistet haben, vergisst man nämlich schnell, dass die FARC in ihren Anfängen rein ideologisch motiviert waren. So erzählt der Versuch dieser kommunistisch orientierten Gruppe politisches Mitspracherecht zu bekommen auch davon, wie Ideen, die eigentlich für den Menschen gedacht waren, irgendwo zwischen Blut, der Rekrutierung Minderjähriger, Entführungen und Drogen untergegangen sind. Doch viele Kolumbianer erinnern sich noch an diese anfänglichen Ideen, ja sympathisieren sogar zu großen Teilen mit ihnen, nicht aber mit dem, was aus diesen Ideen geworden ist und wie sie versucht wurden umzusetzen. Die Weste der Guerilla kann also genauso wenig tiefschwarz gemalt werden wie die des Staates weiß. Alle Beteiligten, seien es Guerilla, Paramilitärs oder der Staat selbst haben sich ausnahmelos mit Schuld befleckt und wirtschaftliche und politische Interessen über die Menschlichkeit gestellt.

Hart hat es dabei vor allem die Zivilbevölkerung in den ruralen Gebieten getroffen, denn Staat und Politik haben es nicht geschafft bis in die verlegensten Winkel des Landes präsent zu sein. So wurden die ländlichen Gebiete zum Austragungsort des Kräftemessens zwischen den verschiedenen Akteuren im Konflikt. Das Resultat sind 6 Millionen Binnenflüchtlinge, also Menschen die innerhalb ihres eigenen Landes auf der Flucht sind. Viele dieser Binnenflüchtlinge stranden in den Städten in nicht autorisierten Flüchtlingssiedlungen. Doch nicht nur zur Kriegsführung braucht man Geld, nein auch zum Leben. Und so kann ein Opfer schnell zum Täter werden. Wer kennt schon die Geschichte des Mannes, der dich auf der Straße mit einem Messer bedroht und möchte, dass du ihm deine Wertsachen gibst?

Wird man überfallen, denkt man nicht automatisch an Krieg. Sieht man die vielen wild an den Berghängen Calis wuchernden Häuserviertel, denkt man nicht automatisch an Krieg. Das meine ich, wenn ich von einem subtilen Krieg rede, denn wer wie ich ein Jahr in Cali gelebt hat, der lebt nicht in ständiger bedrückender Präsenz des Konflikts. Die kausale Kette ist im Alltag oft zu lang um sie bis zu ihrem Ende zu denken. Bleiben wir beim plakativen Beispiel des Straßendiebs. Denn hier schließt sich der Kreis und wir sind wieder an der Kernproblematik angekommen: Der Armut und fehlenden Alternativen.


Was wir also brauchen sind Möglichkeiten und Alternativen für Kokabauern, Binnenflüchtlinge, Guerillakämpfer, das gesamte kolumbianische Volk. Was wir brauchen sind unbestechliche, am Wohl seiner Bürger interessierte Politiker aus der Mitte heraus und keine reiche Eliteregierung die sich noch mehr bereichert an dem, was für das Volk gedacht war. Wir brauchen zudem Politik, die auch in den ruralen Landstrichen ankommt. Und zu guter Letzt, brauchen wir ein Volk, dass erwacht aus seiner Lethargie und aufhört wegzuschauen.



1 Kommentar:

  1. Liebe Theresa, vielen Dank für diesen großartigen Artikel! Und Danke, dass du uns teilhaben lässt an deinen Erfahrungen.
    Mich erinnert das an einen Vortrag von Willi Brandt, den ich gehört habe, als ich noch zur Schule ging (also irgendwann Ende der 70er / Anfang der 80er) Ich werde folgende Aussage NIE vergessen: "Solange es uns nicht gelingt, den Nord-Süd-Konflikt zu lösen (Sprich die Armut in den so genannten 3.Weltländern zu beseitigen) wird es keinen Frieden geben auf dieser Welt."
    Genau das erleben wir nun jeden Tag hautnah. Die Dämme sind gebrochen, wir ernten, was wir all die Jahre gesägt haben.

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